Hier findet ihr die Gewinner der Fanfiction-Wetbewerbe.
2017

Februar/März

Thema: Einen Schwur brechen

(Einen Schwur brechen)

Auf einer Lichtung, nicht weit von unserem Lager, blühen in der Blattfrische Butterblumen. Sie leuchten so gelb, dass meine Mutter mir früher erzählt hat, dass sich Sonnenstrahlen in den Blütenblättern verfangen haben.
Ich liebe es, zwischen den Butterblumen zu liegen. Sie duften süßlich, nach einer warmen, sorglosen Zeit.
Aber der Duft ist es nicht, was meine Pfoten immer wieder zu ihnen lenkt.
Eigentlich bin ich nur hier, weil ich mir vorzustellen versuche, dass die Blütenblätter seine Augen sind. Sie waren genauso gelb und lebendig und manchmal – manchmal gelingt es mir, mich für einen Moment in der Einbildung zu verlieren, ich würde ihn ansehen.
Es dauert noch einen halben Mond, bis ich ihn wiedersehen werde. Mehr als zwei habe ich schon gewartet und jede Nacht habe ich in den Himmel geschaut und die Sterne angefleht, dass sie die Zeit beschleunigen mögen.
Nacht hat mir versprochen, dass er dasselbe tun wird. Dass er die Tage zählen wird, bis sein Stamm sich zu unserer großen Versammlung gesellt und wir wieder für ein paar Stunden vereint sind.
Das letzte Mal sind die fremden Katzen zwei Tage in der Nähe geblieben und ich habe unser Territorium verlassen, um mit ihm zu jagen. Ich erinnere mich gern daran, wie leicht meine Pfoten waren und wie schnell mein Herz geschlagen hat, noch lange, nachdem ich nicht mehr gerannt bin.
Und Nacht hat mich mit seinen gelben Augen angesehen, als wäre ich das Beste auf dieser Welt und hat mir geschworen, mich für immer zu lieben, auch über die Grenzen hinweg.
Sein Stamm lebt weit weg von den Clans, in den Bergen, und ich sehe Nacht nur dann, wenn er nach drei Monden wieder mit anderen Stammeskatzen der Großen Versammlung beiwohnt. Und drei Monde sind eine verflucht lange Zeit.
Ich lege meinen Kopf auf die Pfoten und wende meinen Blick nicht von den Butterblumen ab, die seinen Augen so schmerzhaft ähnlich sind.


~

Als eine der ersten Katzen meines Clans betrete ich den Versammlungsort.
Die fünf Stammeskatzen sitzen schon am Rand des Geschehens. Sie sind anders als wir, ihre Pelze sind dichter und ihre Gesichter kantiger, und in ihren Augen liegt eine Härte, die ich nur bei Nacht nie gesehen habe.
Er ist auch dabei. Weitere drei Monde hätte ich nicht warten können.
Nachts völlig schwarzes Fell geht in der Dunkelheit fast unter, nur seine Augen leuchten mir entgegen. Seine geheimnisvollen, butterblumengelben Augen.
Wie in Trance gehe ich auf ihn zu, ohne wegsehen zu können. Meine Pfoten bewegen sich von selbst und ich spüre, wie mein Herz fast in meiner Brust zerspringt.
Er ist hier. Er ist gekommen.
Die drei Monde warten waren es wert.
Nacht erhebt sich und streckt sich elegant, um dann ein paar Schritte auf mich zuzugehen.
„Blütenlicht", murmelt er, als wir voreinander stehen.
„Ich habe dich vermisst, Nacht wo Stern leuchtet."
Nacht zuckt mit den Ohren und antwortet nicht sofort. „Es waren drei lange Monde."
Seite an Seite, so nah, dass unser Fell sich fast berührt, entfernen wir uns von allen anderen, bis ein Strauch uns vor neugierigen Blicken und hoffentlich auch gespitzten Ohren schützt. Ich atme seinen Duft nach Schnee und Wildnis tief ein und hoffe, ihn nie wieder zu vergessen.
„Ich hatte eine Menge Zeit zum Nachdenken", beginnt Nacht. „Und... ich glaube nicht, dass wir das länger durchhalten. Drei Monde warten nur dafür... das lohnt sich nicht."
Ich senke meinen Kopf. „Du weißt, was ich dir angeboten habe. Wenn es notwendig ist, dann verlasse ich meinen Clan und wir schlagen uns zu zweit durch. Oder dein Stamm nimmt mich auf, es ist mir egal, hauptsache, ich verliere dich nicht."
„Wir haben uns doch schon verloren."
„Sag das nicht. Drei Monde sind lang, aber keine Ewigkeit. Und nichts, wirklich nichts, könnte meine Gefühle für dich jemals ändern."
„Blütenlicht – es tut mir leid. Ich habe ein Leben in den Bergen, das ich endlich anfangen will, zu leben. Ich bin meinem Stamm treu, ich könnte ihn niemals verlassen."
„Dann nimm mich mit." Ich weiß, wie er sich fühlt. Mein Clan bedeutet mir auch mehr als alles andere, mit Ausnahme von Nacht. Für ihn würde ich alles aufgeben.
„Nein... du verstehst nicht. Ich habe keinen Platz für dich, auch wenn ich dich geliebt habe, ich habe eine Gefährtin gefunden. Es wird Zeit, dass wir einander vergessen."
Mein Herz setzt aus. Meine Welt steht still.
Die Unterhaltungen auf der Lichtung, der Wind, das Zirpen der Grillen – alles hält für den Bruchteil einer Sekunde an, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzulaufen.
Und dabei vergisst die Zeit, mich mitzunehmen. Ich bleibe in dem Moment stecken, der mir den Atem genommen hat und fürchte, für immer hier bleiben zu müssen, mit dem Gefühl, innerlich zu verbluten.
Nur Nachts Augen holen mich langsam zurück in die Realität. Ich habe immer übersehen, dass sie genauso hart und gnadenlos wie die der anderen Stammeskatzen sind.
„Ist alles in Ordnung?", fragt er.
„Du... du willst wissen, ob alles in Ordnung ist?" Ich knurre leise. „Wie sollte es?! Du bedeutest mir alles, aber ich glaube, das hast du nie verstanden, nicht wahr?"
„Du warst mir auch wichtig."
„Beim SternenClan, wie kannst du dich in drei Monden so verändert haben? Unser letztes Treffen war magisch, es war – es war die schönste Zeit meines Lebens!"
„Blütenlicht..."
„Du hast geschworen, mich für immer zu lieben, du-"
„Sag nicht, dass du noch nie einen Schwur gebrochen hast!"
Ich wende mich zum Gehen. „Doch, das habe ich. Nur für dich."

Von Flammenschnee

2016

 Dezember/Januar 2016/2017
 Thema: Heimweh   

The death comes also at christmas

Es ist kalt. Der strahlend weiße Schnee bedeckt das Land. Zentimeter dick zieht er sich über Bänke, Straßen und Häuser hinweg. Er lagert sich auf den blätterlosen Bäumen und drückt mit seinem Gewicht ihre Äste in Richtung Boden. Ein schwacher, aber doch eisiger Wind trägt die oberste Schicht des Puderschnees weiter in das Land hinein. Er spielt mit meinem wirrem, dunkelbraunen Fell und verhöhnt mich. Ich sitze zusammengekauert unter einer kleinen Brücke, die über einen schmalen Fluss führt. Im Sommer stehe ich häufig auf der Bande, die den schmalen Gehweg von dem plätscherndem Wasser trennt, und schaue in das trübe Wasser. Doch jetzt, mitten in der Blattleere, ist der Fluss gefroren, genau wie meine Pfoten. Mein Körper ist steif und meine Glieder schmerzen. Ich löse mich aus meiner gekauerten Position und puste mit meinem warmen Atem gegen meine eiskalten Pfoten, die ich kaum noch spüre. Dann versuche ich aufzustehen. Es ist merkwürdig mich zu erheben – zu lange habe ich auf dem vereisten Boden gelegen. Als ich unsicher die ersten Schritte mache, fühlt es sich an, als laufe ich auf Eisklötzen. 'Aber genau das sind meine Pfoten ja auch', denke ich ein wenig verbittert. Das einzige, was mich warm hält ist mein zerfledderter kurzer Pelz. Ich bin schon froh, dass ich mich halbwegs ernähren kann. Trotzdem kann ich jede meiner Rippen zählen. Aber immerhin lebe ich noch.

Langsam trete ich unter dem schützenden Dach der Brücke hervor und blicke in den Himmel. Dicke graue Wolken säumen die Luft und versperren mir den Blick auf die Sonne. 'Es muss fast Sonnenuntergang sein', denke ich. In der Luft liegt der Geruch nach neuem Schnee. Ein Streuner zu sein, hat mich zumindest Eines gelehrt, nämlich dass Wetter gut einschätzen zu können. Ich spüre schon, wie die Temperatur weiter sinkt. Ich sehe nicht gerade viel Sinn darin, jetzt irgendwas anderes zu tun, als mich wieder unter die Brücke zu verkriechen, wo ich wenigstens etwas geschützt bin. Also kauere ich mich wieder auf den kalten Steinboden, die Beine angewinkelt, um die Körperwärme so gut wie möglich zu halten. Aber ich spüre, wie sie mir trotzdem entweicht. Langsam – aber doch nicht aufzuhalten.
Jetzt tue ich wieder das, was ich immer mache, wenn ich unfähig bin, mich zu bewegen. Ich denke nach. Und unweigerlich schleicht sich wieder das Leben in meine Gedanken.
Ich denke darüber nach, warum es so unterschiedliche Arten zu Leben gibt.
Warum gibt es Katzen, die alles verloren haben, die wissen, was es bedeutet, Verluste erlitten zu haben? Katzen wie ich. Und warum gibt es Katzen, die ein glückliches Leben führen, die Familie und Freunde haben, vielleicht sogar nette Zweibeiner, die auf einen aufpassen? Katzen, wie ich eine war.
Ein Schluchzer macht sich in meiner Brust breit. Ich verstehe immer noch nicht, wie es sein kann. Ich hatte ein schönes Leben, eine Familie und tolle Zweibeiner, bei denen wir alle gelebt haben. Meine Eltern und ich. Bis mir alles auf einem Schlag genommen wurde. Meine Eltern wurden von einem Moster gefressen und eines Tages, brachte eben so ein Monster meine Zweibeiner und all ihre Sachen fort. Danach habe ich sie nie wieder gesehen.
Von da an, war ich allein. Neue Zweibeiner kamen ins Haus, doch sie konnten Katzen wohl nicht sonderlich gut leiden.
Allein gelassen und vertrieben wusste ich nicht wohin. Ich irrte lange umher, kaum in der Lage mich selbst zu ernähren. Hatte ich doch nie gelernt zu jagen. Später kamen Zweibeiner, die mich eingefangen und mitgenommen haben. Sie steckten mich in einen kleinen Käfig, in dem ich mich kaum bewegen konnte. Und ich war nicht allein. Da waren noch viele andere Katzen und Hunde und noch viel mehr Tiere. Die Zweibeiner nannten es „Tierheim". Das habe ich nie verstanden, denn soweit ich wusste, bedeutet „Heim" soetwas wie „Zuhause". Doch das war alles andere als ein Zuhause...
Gerade in einem Winter wie diesem, da wünsche ich mir manchmal, dass ich dort geblieben wäre, im Tierheim. Doch dann fallen mir die engen Käfige wieder ein, die vielen Tiere auf so kleinem Raum und ich weiß wieder, dass es gut war abzuhauen. Ich hatte keine Wahl.
Überall ist es besser als dort, selbst hier.
Unter der Brücke.
Mit nicht genügend Fell am Leib.
In der Blattleere
Weihnachten!

Ebenfalls ein seltsames Wort der Zweibeiner - „Weihnachten." Die Bedeutung des Wortes habe ich nie wirklich verstanden, doch ich weiß, welches Fest dieses Wort beschreibt.
Mit einem wehmütigen Schnurren denke ich an die Male zurück, wo ich gut behütet mit meiner Familie und meinen Zweibeinern gefeiert hab. Weihnachten, das Fest der Liebe... Zumindest war es das für mich immer. Jedes Jahr wieder habe ich mich auf die Blattleere gefreut, habe die heranschleichende Kälte geliebt, habe jede einzelne funkelnde Schneeflocke herbei gesehnt. War ich doch stets sicher im warmen Nest der Zweibeiner.
Und jetzt... Jetzt fürchte ich mich vor der Blattleere, hasse die eisige bittere Kälte, die mir alles nimmt und verfluche jede neu fallende Schneeflocke, weil mit ihr meine Hoffnung genauso schnell sinkt, wie die Temperaturen.

Plötzlich überkommt mich ein Drang, stärker als alles, was ich in letzter Zeit gespürt habe. Wackelig stehe ich auf, wobei ich mich an der kalten steinernen Wand abstütze. Als ich auf allen vier Pfoten stehe, mache ich einige vorsichtige Schritte, dann laufe ich los. Ich weiß nicht, wo ich die Kraft herhole, wo ich doch körperlich am Ende bin. Aber irgendwoher nehme ich sie, denn meine Schritte werden immer größer und mein Lauf immer schneller. Die Kälte frisst sich erst durch mein Fell und dann durch meine Haut. Sie verschlingt meine Pfoten, die brennen wie Feuer und durchschneidet meine Kehle. Doch ich ignoriere die Schmerzen. Ich habe mich daran gewöhnt. Das ist etwas, was ich mit als aller erstes hier draußen gelernt habe:
Ertrage deine Schmerzen lautlos.
Gib dich niemals deiner Schwäche hin.
Sei stark.
Immer.
Zu jeder Zeit.
Auch jetzt.

Ich weiß nicht, wohin ich laufe, ich habe kein Ziel. Meine Pfoten tragen mich von alleine fort. Doch allmählich macht sich die Erschöpfung in mir breit. Ich bleibe stehen und stütze mich an einem Baum ab, der am Straßenrand steht. Ein Hustenanfall macht sich in meiner Lunge breit. Erst versuche ich ihn zu unterdrücken, doch gegen ihn komme ich nicht an. Er überfällt und schüttelt mich. Als er vorüber ist, nehme ich mir zum ersten Mal, seit ich die geschützte Brücke verlassen habe, die Zeit, die Umgebung zu betrachten. Es ist dunkel geworden. Die Nacht zieht herauf und mit ihr noch kältere Temperaturen.
Früher habe ich die Nacht geliebt. Ich habe mich zu ihr hingezogen gefühlt. Ich habe mich danach gesehnt, nach den Sternen zu greifen, habe den mächtigen Mond verehrt. Die Nacht war für mich immer etwas geheimnisvolles, mystisches. Aber jetzt bedeutet sie für mich nur noch Leid, noch mehr Schmerz und die Frage, ob ich es bis zum nächsten Morgen schaffe.
Es ist nicht so, dass ich die Nacht jetzt hasse. Genau genommen würde ich immer noch dasselbe für sie empfinden, wenn ich es nur zuließe. Aber genau das ist eine weitere Sache, die mich das Überleben hier draußen gelehrt hat:
Bleib realistisch.
Das Einzige, was zählt, ist das, was dich am Leben hält.
Und im Moment ist es die Nacht, die den Tod über mich bringen will.

Das Licht einer kleinen Laterne erhellt den schneebedeckten Boden und die Umgebung. Ich weiß in etwa, wo ich bin, in der Nähe eines kleinen Dorfes. Es liegt einige Kilometer von der Brücke, unter der ich Schutz gesucht habe, entfernt. Das erstaunt mich. Anscheinend bin ich länger und weiter gelaufen, als ich angenommen habe. Doch meine Überlegungen werden erneut von einem Hustenanfall unterbrochen, der mir den Atem raubt.

Ich weiß nicht, was mich dazu treibt, aber ich beschließe, in das Dorf zu gehen. Was ich mir davon erhoffe, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Mein Verstand sagt mir, ich solle mir den nächsten Unterschlupf suchen und zusehen, wie ich meine Körpertemperatur möglichst hoch halten kann. Dennoch gehe ich langsam weiter. Ich fühle mich, trotz des langen Laufes, nicht dazu in der Lage, mich schon wieder irgendwo zusammenzukauern.
Der Donnerweg ist schmal, sodass höchstens ein Ungeheuer darauf fahren kann. Alle paar Schwanzlängen säumt eine weitere Laterne den Weg. Ich gehe auf derm Donnerweg, weil dort weniger Schnee liegt, als auf dem schmalen Zweibeinerweg. Jetzt dringt statt dem klaren Weiß ein schmutziger Schneematsch in meine wunde Pfoten.

Als ich einige Zeit gegangen bin, stehen die Zweibeinernester dichter beieinander. Ich bewundere die festlich geschmückten Gärten und Donnerwege. Alles leuchtet in bunten Farben. Es sieht so feierlich aus, dass ich mich schnell von diesem Anblick losreiße, weil ich mich nicht von meiner Sehnsucht übermannen lassen will. Doch es ist zu spät, meine Erinnerungen überfluten mich.
Ich sehe mich als Junges, wie ich um den, mit dunkelroten Kugeln geschmückten, Weihnachtsbaum herum hüpfe, ein freudiges Erwarten im Gesicht.
Ich sehe mich, Blattwechsel später, wie ich mit den wunderschönen Kugeln spiele und im zerissenen Geschenkpapier herum tobe. Diesmal haben die Kugeln die Farbe des klaren, blauen Himmels im Sommer.
Ich sehe mich, bei dem letzten Weihnachtsfest, dass ich zusammen mit meiner Familie gefeiert habe. Die Geschenke lagen gut verpackt unter der Fichte, die mit Mokkafarbenen Kugeln verziert war. Ich erinnere mich sogar noch an das Muster des Geschenkpapiers. Es war zartrosa mit lila und weißen Streifen. Der Raum wurde mit sanftem Kerzenlicht erfüllt, der alles gemütlich machte. Die Schatten flackerten an der Wand. Festliche Musik erfüllte den Hintergrund.

Tausende Gefühle und Erinnerungen prasseln auf mich nieder wie harte Hagelkörner. Jede glücklicher als die Vorherige. Und doch machen sie mich trauriger und trauriger, weil jede einzelne mir wieder vor Augen führt, was ich alles verloren habe.
Das was bleibt ist Heimweh.

Am liebsten würde ich umkehren, doch meine Pfoten bewegen sich immer weiter. Immerhin weiß ich dadurch, dass ich noch welche habe, denn spüren tue ich sie schon lange nicht mehr. Zu allem Überfluss hat es auch noch wieder angefangen zu schneien. Sanfte, weiße Flocken setzen sich auf mein Fell und auf die Bäume, Dächer und Donnerwege. Erst hoffe ich, dass es bei den sanften Flocken bleibt, doch ein eisiger Windstoß und ein Blick nach oben machen meine Hoffnungen zu Nichte.
Ich weiß, dass es schneien wird.
Jede Menge sogar.
Wahrscheinlich wird es sogar einen Schneesturm geben.

Fröstelnd stapfe weiter. Ich friere, doch Zittern tue ich schon lange nicht mehr, meine steifen Muskeln und Glieder haben es aufgegeben. Weit komme ich nicht. An der nächsten Ecke bleibe ich wie angewurzelt stehen. Mein Blick heftet sich an das Nest, was dort steht. Durch das Fenster kann ich in einen Raum sehen, der wohl das Wohnzimmer darstellt. Leise Weihnachtlieder dringen nach draußen. Ein Weihnachtsbaum steht an der Wand auf einem kleinen Podest, damit die bunt verpackten Geschenke darunter passen. Das Papier ist nicht einheitlich, so wie es bei uns immer war. Nein, hier ist es bunt durchgemischt. Es gibt welches mit großen, roten Herzen, weiße Sterne auf dunkelblauen Grund, Schneemänner auf Hellblau, Weihnachtsmänner und viel mehr. Jedes einzelne besitzt eine wohl geformte Schleife, mit so viel Liebe und Mühe gemacht, dass mir die Tränen in die Augen steigen. Auf dem grauen Ecksofa sitzen Arm in Arm zwei mittelalte Zweibeiner. Sie sehen glücklich aus – wann war ich das letzte Mal glücklich? Aber noch mehr berühren mich die drei Zweibeinerjungen, die mit leuchtenden Augen vor dem Baum stehen und die herrliche Pracht genießen. Sie sehen alle total unterschiedlich aus und trotzdem verbinden sie Dinge, die kennzeichnen, dass sie alle zusammen gehören. Sie haben alle das, was ich verloren habe. Sie sind eine Familie und ich bin allein.
Ich wende meinen Blick ab, weil ich es nicht mehr ertrage, die Fröhlichkeit in ihren Gesichtern zu sehen. 'Warum bin ich überhaupt stehen geblieben!', ärgere ich mich. Doch ich weiß, dass ich nicht anders konnte. Niemand kann sich Heimweh entziehen. Auch wenn es kein Heim mehr gibt.

Die Flocken fallen jetzt stärker und auch der Wind ist beißender geworden. Mittlerweile bedeckt fast eine ganze Schwanzlänge den Boden. Ich versinke vollkommen in dem weißen Pulver.
Von einem neuen Drang gleitet, renne ich wieder los. Die kalte Luft zerfrisst meine Lungen, doch ich bin froh, dass ich überhaupt etwas spüre. Und so ertrage ich meine Schmerzen stumm, während ich laufe. Ich weiß nicht wohin, doch meine Pfoten finden immer einen Weg, den sie einschlagen können. Flocken peitschen mir, zusammen mit dem eisigen Wind ins Gesicht, erst, als ich in der Dorfmitte angekommen bin, verlassen mich meine Kräfte. Ich lasse mich unter die riesige Tanne fallen, die genau mittig des Platzes errichtet wurde. Der Baum ist mit roten Kugeln, Holzfiguren, Lametta, in silber und gold, und einem riesigen Lichternetz geschmückt. Oben auf der Spitze thront ein goldener Weihnachtsstern. Genau unter diesem Baum sacke ich zusammen und realisiere, dass ich nicht mehr weiter kann, ich meine letzten Kräfte gerade aufgebraucht habe.

Mein Körper ist am Ende. Jetzt liege ich hier im weißen Schnee, umgeben von Tannennadelduft. Ich sollte frieren, doch selbst die Kälte spüre ich nicht mehr. Doch ich weiß, dass sie mich nicht verlassen hat. Vielmehr hat sie ihr gierigen Krallen ausgestreckt. Sie lauert mir auf, wartet bis ich ihr erliege.
Ja, ich muss es mir eingestehen, wenn ich hier liegen bleibe, werde ich sterben.
Aber wohin soll ich gehen? Und selbst wenn ich das wüsste, woher soll ich die Kraft nehmen? Ich kann nicht mehr. Ich spüre meinen Körper kaum noch, kann mich nicht mehr rühren. Nein, ich will mich nicht mehr rühren. 'Doch', schelte ich mich. 'Doch du willst. Du musst. Du musst kämpfen. Kämpf doch dagegen an!'
Erneut werde ich von einem Hustenanfall übermannt. „Ich kann nicht", will ich wimmern, doch ich weiß, dass ich stark sein muss. Aber es wäre so einfach jetzt aufzugeben. Es wäre so viel einfacher hier zu liegen und zu warten, bis der Tod kommt, bis er mich von meinem Leiden erlöst. Doch weiter drängen mich meine Gedanken nicht aufzugeben. Aber sie werden immer leiser, bis ich sie kaum noch höre.

Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mehr. Ich muss es einsehen. Es ist vorbei. Langsam aber sicher neigt es sich dem Ende zu. Ich sollte mich damit abfinden. Ich habe lange genug gekämpft, ich habe lange genug gehofft und ich habe lange genug geglaubt. Doch ich wurde enttäuscht. Denn wer ist jetzt noch bei mir? Niemand.
Früher war Weihnachten immer eine Zeit der Hoffnung auf etwas wunderbares.
Wie lange habe ich auf ein Weihnachtswunder gewartet – und wie oft wurde ich enttäuscht?!
Wie lange habe ich an die Wunder der Weihnacht geglaubt, die Familien zusammen bringt und Arme reich beschenkt?!
Doch Weihnachten hat meine Familie zerrissen. Denn der glatte Donnerweg, der meinen Eltern den Tod gebracht hat, haben sie am 1. Weihnachtstag betreten. Seitdem habe ich aufgehört an die zauberhafte Zeit der Weihnacht zu glauben. Mir hat sie nichts gebracht, nichts außer Leid und Schmerz. Doch jetzt, wie ich hier im Schnee liege, dem Tod nicht mehr fern, meine ich den süßen Klang der Glocken aller vergangener Weihnacht wahrzunehmen und den großen Engelschor singen zu hören. Ich fühle mich zurück in meine glückliche Kindheit versetzt und ich kann nicht anders als wieder ... zu glauben.

Mittlerweile spüre ich gar nichts mehr, doch meine Gedanken sind noch klar.
In diesem Augenblick ist die Nacht auch niemand mehr, der meinen Tod will. Im Gegenteil. Sie ist wieder das, was sie einst war. Etwas mystisches, geheimnisvolles, was sich hinter dem dunklen Schleier versteckt. Vielleicht ist es gut zu Sterben. Ich werde meine Eltern wieder sehen können, vielleicht werde ich endlich wieder glücklich sein...
Ich glaube, meine Gedanken gleiten langsam ab, als ich das Lachen eines Jungen höre.
Es heißt doch, dass sein Leben an einem vorbei zieht, wenn man stirbt. Doch bei mir stimmt es nicht ganz. Denn es ist mein Lachen, dass ich da vernehme. Mein Lachen an Weihnachten. Ich sehe es deutlich vor mir. Doch nicht nur dieses Weihnachten, sondern alle, die ich jemals erlebt habe, sogar die, an die ich mich gar nicht mehr erinnere. Das Letzte, was ich von der realen Welt sehe ist, dass sich die schwarzen Wolken lichten und dass der volle Mond zum Vorschein kommt, größer, leuchtender und näher, als ich ihn in Erinnerung hatte. Dann schließen sich meine Augen endgültig und ich merke, wie das Leben mir entgleitet. Sanft und leise, wie die Stimme des Engelschors oder die, der jetzt wieder ruhig fallenden Schneeflocken, die sich trotz des Baumes auf mich niederlegen. Und mein letzter Gedanke, bevor ich mich endgültig von dem Hier und Jetzt verabschiede, ist das Letzte, was mich das Leben hier draußen lehrte:
Der Tod kommt auch an Weihnachten.

August/September 2016
Thema: Clanleben 

Mit schleppenden Schritten komme ich ins Lager und lasse mich an dessen Rand nieder. Mein Kopf dröhnt, ein stechender Schmerz durchzieht mein rechtes Hinterbein und mein silbernes Fell lässt sich unter all dem Dreck und Blut kaum noch erkennen. Suchend sehe ich mich im Lager um und versuche die Lage zu überblicken. Dämmerlicht, die Heilerin des NebelClans, wuselt hin und her und versucht sich zuerst um diejenigen zu kümmern, die schwer verletzt aus der Schlacht zurückgekehrt sind. Goldflamme sieht nicht gut aus, sein ganzer Pelz hängt in Fetzen herab, Blut tropft auf den Boden und tränkt die Erde. Auch Bernsteinsee hat es schlimm erwischt. Eine kleinere Katze schwirrt ebenso hektisch wie Dämmerlicht im Lager herum – Seepfote, Dämmerlichts Schülerin. Mausepfote sitzt mit ihrem Mentor Dunkelstreif in einer anderen Ecke des Lagers. Auch ihr Pelz ist rot, doch hauptsächlich scheint es das Blut ihrer Feinde und das ihrer verwundeten Clangefährten zu sein. Tief atme ich ein, die stechenden Schmerzen ignorierend, während mein Blick weiter schweift. Viele Verletzte im gesamten Lager fallen mir ins Auge. Junge, Königinnen und Älteste kommen aus ihren Bauen, erkundigen sich, was geschehen ist. Auch wenn die Frage überflüssig ist. Die Antwort ist offensichtlich. Wir haben verloren.

 

Der Geruch nach Blut ist erdrückend, als ich Mistelstern entdecke. Auch sie ist verwundet und ich bin mir sicher, dass sie mindestens ein Leben verloren hat. Ich nehme mir vor später mit ihr darüber zu sprechen, immerhin steht es mir als ihre Stellvertreterin zu, das zu wissen. Bei dem Gedanken, dass Mistelstern eines Tages sterben wird und ich ihre Position einnehmen muss, wird mir schwindelig. Und das liegt ganz sicher nicht daran, dass ich einige starke Hiebe gegen den Kopf bekommen habe. Der Gedanke einen Clan zu führen und für ihn die volle Verantwortung zu tragen, macht mir Angst. Wie soll ich die Entscheidung zum Kampf treffen, wenn ich weiß, dass wir verlieren könnten? Wenn ich weiß, wie viele Leben es nehmen kann und wie viele Verletzte es geben wird. Ich muss mich nur im Lager umsehen, um zu wissen, was passieren kann. Und mit dem Wissen zu Leben, dass es meine Schuld wäre.. dass jede Verletzung, jeder Tod dadurch entstanden wäre, dass ich die Entscheidung zum Kampf getroffen hätte.. ich glaube nicht, dass ich das kann.

Auch wenn ich weiß, dass Mistelstern keine andere Wahl gehabt hat, als den FrostClan anzugreifen. Zwar ist es Blattfrische und die Beute sollte gut laufen, doch die Blattleere war hart und eisig, der tauende Schnee hat den Fluss zum Übertreten gebracht. Schnell sind die Schnemassen geschmolzen und haben das ganze Moor unter Wasser gesetzt. Dazu kam ein starker Regen. Eigentlich kann man das Moor nicht mal mehr durchqueren. Bei jeder Katze kann man die Rippen zählen und sieht, wie die kantigen Hüftknochen hervortreten. Wir mussten um Beute kämpfen, aber es war von vornherein ein einziges Himmelfahrtskommdo. Jeder im Clan hat das gewusst.

Mein Blick schweift weiter zu Splittermond, die mich ebenfalls entdeckt hat. „Efeubrise!", ruft sie mir quer durch das Lager zu und bahnt sich ihren Weg an den verletzten Katzen vorbei, bis sie vor mir steht. „Geht es dir gut?", fragt sie mich außer Atem. Sie scheint Glück gehabt zu haben, da sie nur leichte Kratzer abbekommen hat. „Es geht schon", murmele ich und mache eine abweisende Schwanzbewegung. Streng mustert mich meine Freundin, da sie genau weiß, dass ich Schmerzen habe, sagt jedoch nichts, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Sie lässt sich an meiner Seite nieder und streicht kurz mit ihrem Schweif an meiner Flanke entlang, um mich aufzumuntern. „Wir haben viele Verletzte", stellt Splittermond fest und ich nicke. „Zu viele." Ich schlucke. „Vielleicht wird der NebelClan nicht mehr lange überleben." Die dürren, blutenden Katzen im Lager machen nicht den Eindruck eines starken, stolzen Clans und sollten sie nicht bald Nahrung und Heilkräuter bekommen, würden sie auch nie wieder Katzen eines starken und stolzen Clans werden. Splittermond entfährt ein kleines Knurren. „Sag so etwas nicht, Efeubrise. Denn unzählige Dinge gibt es noch zu sehen und große Taten zu vollbringen. Der NebelClan ist stark und zäh. Wir werden niemals untergehen." Ein Schnurren entfährt mir und ich seufze. „Du hast Recht, Splittermond. Wir sollten nicht aufgeben. Die Schlacht ist verloren, doch der NebelClan wird weiter für sein Überleben kämpfen."
Ich betrachte noch einmal die Katzen im Lager, präge mir dieses Bild gut ein. Das war nicht meine erste Schlacht und es wird auch nicht meine letzte sein. Der NebelClan wird immer weiter kämpfen - egal in welcher Form. Das ist das, was einen guten Clan ausmacht. Und auch verlorene Schlachten und auswegslos erscheinende Situationen gehören zum Clanleben. So war es und wird es immer sein.
Von Efeustern


April/Mai 2016
Thema: Der letzte Kampf

Sie schloss die Augen und rang nach Luft. Die Schreie, die Kampfgeräusche wirbelten um sie herum und brannten sich in ihren Kopf ein. Sie hörte wie ihr Clan langsam ausgelöscht wurde. Die silberne Kätzin konnte nicht begreifen, warum der FeuerClan das tat. Warum beim SternenClan waren sie mitten in der Nacht ins Lager gestürmt? Warum töteten sie sie?
Wieder öffnete sie die Augen und blickte sich um. Sie stand auf einem erhöhten Stein im Lager, hatte sich dorthin geflüchtet und betrachtete nun vollkommen entsetzt das Bild, das sich ihr bot. Ihre Clangefährten wurden einer nach dem anderen getötet. Ganz in ihrer Nähe konnte sie Traumpfote sehen, der gegen einen riesigen schwarzen Krieger kämpfte. Es war ein unfairer Kampf, doch niemand konnte ihm helfen, da jeder mit seinem eigenen Gegner beschäftigt war.
Sie zitterte, Schmerz brannte in ihrer Seite, trocknete in ihrem Pelz und tropfte zu Boden. Ihr ganzes Lager war ein einziges Schlachtfeld. Sie konnte sich nicht entscheiden, wem sie als erstes helfen sollte, bis sie auf einmal einen markerschütternden Schrei hörte. Schnell wandte sie sich in diese Richtung und sah ihre Schwester. Lilienschweif lag auf dem Rücken, Rostkralle, der zweite Anführer des FeuerClans stand über ihr, holte mit ihrer Pfote aus, seine Krallen blitzten auf. Mit einem Fauchen warf die Heilerin sich in das Getümmel und kämpfte sich vor in Richtung ihrer Schwester. Von allen Seiten wurde sie angegriffen, Schreie stürmten auf sie ein, doch sie blendete alles aus, fixierte sich allein auf Rostkralle, der in diesem Moment mit ihren Krallen über den Lilienschweifs Körper fuhr.
„NEIN!", kreischte sie und rannte noch schneller, doch es war zu spät. Ein FeuerClan Krieger stellte sich ihr in den Weg und warf sich auf sie. Schnell rollte sie sich herum und warf ihn mit einem kräftigen Hieb von sich. Sie wusste selbst nicht, woher sie diese Kraft nahm, doch sie schaffte es, sich wieder aufzurappeln und stürmte weiter auf Lilienschweif zu. Doch gerade als sie zwei Schritte voran gekommen war, packte er sie und zog sie zurück. Sie schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf, sie spürte seine Krallen, die über ihren Bauch fuhren und einen Moment war sie zu benommen, um einen Gegenangriff zu starten. Doch endlich warf sie ihn von sich, rappelte sich auf und fuhr ihm mit ausgefahrenen Krallen über die Schnauze. Er fuhr zurück und verschwand im Kampfgetümmel.
Hastig blickte sie sich um, suchte nach Lilienschweif. Doch um sie herum waren nur kämpfende Katzen, sie konnte sie nicht entdecken. ‚SternenClan, hilf!', flehte sie stumm.
Plötzlich landete ein Gewicht auf ihr, scharfe Krallen bohrten sich in ihren Rücken. Sie schrie auf und versuchte, den Angreifer von sich zu schleudern, doch die Krallen bohrten sich noch tiefer in ihr Fleisch. Wie verrückt warf sie sich herum, trat wild um sich, nach allem was sie treffen konnte. Schreckliche Wut hatte sie gepackt, Panik, Trauer. Wie konnten sie so etwas tun? Die Clans hatten in der Vergangenheit in Frieden zusammengelebt, es war mitten in der Blattgrüne, es gab genug Beute. Warum? Die Wut raubte ihr alle Vernunft und sie stürzte sich blind mitten in den Kampf. Doch sie war eine Heilerin, keine Kriegerin. Sie wurde niedergekämpft und es schien, als schlügen mehrere Angreifer gleichzeitig auf sie ein. Ihr Angriffsschwung wurde gebremst, die Energie, die Wut, die zuvor durch sie hindurch geströmt waren, verrauchten und wichen Erschöpfung. Sie gab auf, da sie sah, dass es sinnlos war. Eine Heilerin konnte nicht gegen einen Krieger gewinnen, ihr Clan konnte nicht gegen den FeuerClan gewinnen. Zu viele ihrer Gefährten hatte sie sterben sehen.
Aus zahlreichen Wunden rann das Leben aus ihr hinaus, ihr Atem ging flach, während sie unter den wirbelnden, willkürlichen Pfoten, Krallen und Schreien begraben wurde. Niemand kümmerte sich um sie, Kälte ergriff sie und spülte sie mit sich und so starb sie. Allein mitten unter ihren Clangefährten und den Verrätern des anderen Clans. Allein und in Ungewissheit.
Von Ahornschatten

Februar/März 2016
Thema: Anführerzeremonie

Hagelsturms Anführerzeremonie


Ich weiß, dass ich schlafe – immerhin habe ich mich erst vor kurzem auf der Sterneninsel hingelegt, meine Nase an den Sternenfels gedrückt – doch das, was ich sehe, fühle, höre und rieche, scheint so real, als ich meine Augen öffne. Ich finde mich auf der Versammlungsinsel wieder, auf der normalerweise unsere Großen Versammlungen abgehalten werden. Dann ist der Platz immer voller Katzen, ein einziges Getümmel und Gewühl. Genauso wie jetzt. Ich bin kein Freund von anderen Katzen, schon gar nicht so vielen auf einmal und nun wirklich nicht, wenn sich diese Katzen in meiner unmittelbaren Umgebung finden. Doch das hier ist anders. Die Katzen, die nun in Silber und Sterne gehüllt vor mir stehen, sind tot. Längst hat ihr Herz aufgehört zu schlagen, aber dennoch.. das macht es nicht besser. Mein sturmgrauer Pelz sträubt sich und ich kämpfe gegen das Verlangen, die Krallen auszufahren.
„Willkommen Hagelsturm", begrüßen mich die Katzen, obwohl es so scheint, als sprächen sie nur mit einer Stimme. „Bist du bereit deine 9 Leben zu empfangen?"
'Nein', denke ich. 'Nein, das bin ich nicht.' Was soll ich damit anfangen? Einen Clan anführen? Einen Clan, der mich zum Großteil am liebsten los werden würde? Einen Clan, dessen Mitglieder ich nicht leiden kann? Wobei man zugestehen muss, dass ich keine Katzen leiden kann, Clan hin oder her, aber trotzdem. 'Was genau tue ich hier?', frage ich mich stumm. Aber habe ich eine Wahl? Ich habe ein Versprechen gegeben. Ein Versprechen den RauchClan zu führen. Wie hätte ich auch meiner Anführerin ihren letzten Wunsch abschlagen können?
Also nicke ich, knapp und widerwillig, murmele endlich meine Antwort: „Das bin ich."

 

Ich habe keine Zeit mehr darüber nachzudenken, dass ich nicht bereit bin, denn schon tritt die erste Katze auf mich zu. Ich kenne sie gut, denn es ist mein erster Schüler Kiefernkralle – den einzigen Schüler, den ich jemals vollständig ausgebildet habe. Ein hartes Stück Arbeit, wenn man bedenkt, dass ich keinen Kontakt zu anderen Katzen haben wollte und die Ungeduld in Person bin. Ich weiß nicht, wer es schwerer hatte: Ich oder Kiefernkralle. Dennoch ist er ein guter Krieger geworden, der seinem Clan treu gedient hat und im Endeffekt eine der Katzen war, deren Gesellschaft ich nicht ganz so unerträglich fand.
Obgleich seines Todes funkeln seine Augen voller Leben, als er feierlich und mit einem gewissen Grinsen meint: „Mit diesem Leben gebe ich dir Geduld. Nutze sie gut, um deinen Clan zu führen." Er schnippt ein wenig mit dem Schweif. „Denk daran, sie sind nun alle deine Schüler." Ich bedenke den Kater mit einem bösen, aber nicht ganz ernstgemeinten Blick – er weiß besser als jeder andere, in was für eine Verzweiflung er mich damit stürzt. Kiefernkralle berührt meine Nase mit seiner und ein heftiger Schmerz durchfährt meinen Körper, sodass ich aufkeuche. 'Vermutlich ist das die Rache dafür, dass ich ihn früher so oft im Kampftraining zu Fall gebracht habe', denke ich ein bisschen sarkastisch, um mich von dem Schmerz abzulenken. Verdient habe ich es auf jeden Fall. Ich war nie ein guter Mentor.

Nun tritt mein Vater Stachelherz zu mir. Er verstarb früh, ich erinnere mich kaum an ihn, habe ihn nie wirklich kennen gelernt. Stumm blicke ich ihn an, als er meint: „Mit diesem Leben gebe ich dir Hoffnung. Nutze sie gut, um selbst in finstersten Stunden nie das Licht aus den Augen zu verlieren." Der Schmerz der mich nun durchzuckt ist noch schmerzhafter als der erste, doch auf eine andere Weise. Es fühlt sich mehr nach einem guten Schmerz an. Dennoch bleibt mir keine Zeit mich zu erholen.

Eine schlanke Gestalt löst sich aus der Menge, die mir ebenso vertraut ist, wie mein Schüler. „Silberfeder", murmele ich und bin nicht sicher, was ich für sie empfinden soll. Sie war einst meine Mentorin und hat mich wohl durch die schwerste Zeit meines Lebens geführt. Denn sie war es, die mit mir ihre Zeit verbringen musste, nachdem meine Schwester Rabenjunges gestorben war und sich mein Hass auf anderen Katzen ausprägte. Ich erinnere mich gut daran, dass sie einige scharfe Worte und Krallen von mir zu spüren bekommen hat. Ich habe sie gehasst. Ihre ruhige Art, ihr Verständnis, ihre Versuche mir über den Tod meiner Schwester hinwegzuhelfen. Wäre sie noch am Leben, könnte ich sie vermutlich genauso wenig ausstehen, doch mittlerweile weiß ich wohl, dass ich ihr Unrecht getan habe. Eigentlich kümmert mich so etwas wenig, doch Silberfeder fiel mir nie in den Rücken und tat stets ihr Bestes. Sie wusste viel von meinen Beweggründen und meinen Gefühlen, auch wenn ich das nie wahr haben wollte, und dennoch hat sie nie mit anderen darüber gesprochen. Einer der Gründe, warum viele heute immer noch nicht wissen, wo mein Problem mit anderen Katzen liegt. Mit gemischten Gefühlen erwarte ich also ihre Worte: „ Mit diesem Leben gebe ich dir Vertrauen. Nutze es gut und setze es in jedes einzelne Clanmitglied." Sie sieht mich aufmerksam und ein bisschen mitleidig an, genauso wie früher, sie weiß, wie makaber mir dieses Leben vorkommt. Den folgenden Schmerz, der kommt, spüre ich kaum, er wird von Hass und Wut überdeckt. 'Wie soll man vertrauen, wenn man so verraten wurde?', frage ich mich und ich bin sicher, mein Gesicht ist von Schmerz und Wut gezeichnet.

Windpfote löst Silberfeder ab. Ich habe sie nicht gut gekannt, obwohl sie meine Schülerin war. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, sie kennenzulernen und zudem verstarb sie früh. Ich habe weniger um sie getrauert, als um die Tatsache, dass ich den Schwur gegenüber meiner Schwester wieder einmal nicht wirklich erfüllen konnte. Ich konnte schon wieder eine Katze nicht retten. Auch wenn ich nur geschworen hatte, keine Katze mehr in meinem Beisein sterben zu lassen und ich bei Windpfotes Tod nicht anwesend war, hatte ich trotzdem Schuldgefühle. Dennoch empfange ich ein Leben von ihr: „Mit diesem Leben gebe ich dir Mitgefühl. Nutze es gut für jede Katze im Clan und außerhalb." Der Schmerz ist weniger stark, eher stumpf, begleitet von Wärme. Eine Wärme, die ich lange nicht mehr gespürt habe.

Die nächste Katze kenne ich kaum, ich weiß nur, dass sie eine Kriegerin des RauchClans gewesen war. „Mit diesem Leben gebe ich dir Kraft, um treu zu sein. Nutze sie gut, um durchzuhalten und stark zu sein, egal was kommen mag und um den Clan zusammen zu halten, auf dass er auf ewig weiter besteht." Als sich unsere Nasen berühren, habe ich mich längst auf den Schmerz vorbereitet, dennoch raubt er mir den Atem.

Die grazile Gestalt, die sich nun vor mir aufbaut, würde ich unter tausenden am bloßen Geruch erkennen. Zypressenschweif. „Mutter", murmele ich und schließe einen Moment die Augen, sauge ihren Geruch in mich auf und fühle mich für einen Herzschlag in meine jüngste Kindheit zurückversetzt, als meine Welt noch heil war. „Mit diesem Leben gebe ich dir Demut. Nutze sie gut, um immer zu wissen, wo dein Platz ist, aber trotzdem die Positionen der anderen verstehen zu können." Leise fügt sie noch hinzu: „Ich bin stolz auf dich, mein Sohn." Diesmal ist das Leben sanft und ich atme erleichtert auf. Denn die Leben nehmen mir mehr Kraft, als ich zugeben will.

Nun löst sich eine kleine schwarze Gestalt aus der Menge – die Gestalt von der ich am meisten gehofft habe, sie zu sehen. Ich kann es beinahe nicht fassen, sie wiederzusehen. Nach all den Blattwechseln. Nach all dem Schmerz. Endlich steht sie wieder vor mir. Sie hat sich nicht verändert. Der schelmische Gesichtsausdruck, das Funkeln in den Augen. Ich, der große, stämmige, breit gebaute und – zumindest nach außen scheinend – gefühlloser Kater, habe all diesen Leben standgehalten, habe schon so viele Wunden überstanden, so viele Demütigungen abgetan und habe nie vor anderen Katzen Schwäche gezeigt. Doch jetzt tue ich es und es ist mir egal, dass der gesamte SternenClan es sehen kann. Mein Körper beginnt zu zittern, meine Beine werden weich und zum ersten Mal seit Blattwechseln habe ich das Gefühl, dass mein Herz wieder schlägt. „Rabenjunges", hauche ich, meine Stimme ist ungewöhnlich zart. Wenn ich könnte, wäre ich wohl auf den Boden gesunken, doch irgendeine Kraft des SternenClan bewirkt, dass ich stehen bleibe. „Es tut mir so leid. Ich hätte eingreifen müssen, ich hätte dir helfen müssen, statt Hilfe zu holen. Ich... es tut mir leid." Rabenjunges Augen werden plötzlich von Schatten durchzogen. „Mit diesem Leben gebe ich dir die Akzeptanz des Schicksals. Nutze es gut und lerne mit den Dingen in deinen Leben zu leben." Ich nicke. Ich weiß, dass ich das nicht kann, aber für sie will ich es versuchen. Ich beuge mich hinunter, um ihre Nase zu berühren und erwarte keinen Schmerz, sondern etwas sanfteres.. etwas mit mehr Liebe. Daher trifft mich der Schmerz unerwartet und haut mich beinahe um. Erst als es vorbei ist, begreife ich, dass ich ihren Schmerz gespürt habe. Ihren Schmerz als sie starb, von Dachsen zerfleischt wurde und ich ihr nicht helfen konnte. „Nicht meinen Tod betrauere ich, sondern das, was er aus dir gemacht hat", beichtet mir Rabenjunges. „Du bist ein großer Krieger. Ich bin stolz auf dich. Aber fang endlich an zu leben." Damit verschwinden die Schatten aus ihren Augen und Schalk tritt wieder in sie, ehe sie sich umdreht und geht.

Doch wie es scheint, habe ich damit noch nicht das Schlimmste hinter mir. Denn die Katze, die nun vortritt, wollte ich nie wieder sehen. Die Katze, die mir ebenso verhasst ist, wie ich Rabenjunges, meine Schwester liebe. „Federstern", knurre ich und ich wäre vermutlich auf ihn losgegangen, wenn ich nicht an den Boden gefesselt gewesen wäre, auf dem ich stehe. Dass es keinen Sinn hat, einen toten Kater umbringen zu wollen, ist mir in diesem Moment herzlich egal. 'Warum ausgerechnet er?', schreit es in mir. „Mit diesem Leben gebe ich dir Vergebung. Nutze es gut und lerne jenen, die nicht immer die richtige Entscheidung getroffen haben oder gezwungen waren eine schlechte Entscheidung zu treffen, zu vergeben." Diese Worte machen es nur noch schlimmer. 'Diese Worte aus seinem Mund?!' In meinem Innersten tobte es, doch ich bin erstarrt, kann mich nicht bewegen. Es widerstrebt mir diesen räudigen Fellball zu berühren, doch ich kann mich nicht dagegen wehren. Der Schmerz, der mich durchfährt, fühlt sich tiefer an, als alles vorherige, als würde er mein Innerstes zerreißen und lässt mich paralysiert zurück. 'Wie kann er es wagen, diese Worte zu mir zu sprechen?', denke ich aufgebracht. Die Worte aus dem Mund des Katers zu hören, der die Patrouille davon abgehalten hat, einzugreifen und Rabenjunges vor den Dachsen zu retten. Der Kater, der meinte, es sei zu spät, um meine Schwester zu retten. Der Kater, den ich noch mehr als mich für den Tod Rabenjunges verantwortlich mache. Wieder so ein makaberes, paradoxes Leben. Niemals. Niemals würde ich Federstern vergeben können. Und so wie er mich ansieht, weiß er das auch. „Nutze es weise", murmelt er leise und lässt mich mit meinem Hass allein zurück.

Die nächste und letzte Katze bringt mich ebenso aus dem Konzept wie Federstern. Doch auf eine andere Weise. Die kupferfarbene lebensfreudige Kätzin, meine Anführerin, die Katze, die ich am ehesten als Freundin bezeichnen konnte und der ich den meisten Respekt entgegen gebracht habe, tritt auf mich zu. „Hallo Hagelsturm", grüßt sie mich freudig und mit einer Gelassenheit, als hätte sie ihren Clan nicht dem verkorkstesten Kater des Waldes hinterlassen, spricht sie weiter: „Mit diesem Leben gebe ich dir Liebe. Nutze sie gut, um Kontakte zu knüpfen, offen zu sein und deinen Clan endlich als einen Teil von dir anzusehen."
Der Schmerz ist süß, aber stark und lädt einen ein, sich ihm hinzugeben. Aber dazu habe ich nicht die Zeit, denn schon bald ist er abgeklungen.

Nun erheben sich alle SternenClan Katzen. Kupferstern verschwindet jedoch nicht wieder in der Menge, sondern tritt lediglich einen Schritt zurück. „Nun grüße ich dich mit deinem neuen Namen, Hagelstern", verkündet die Anführerin. „Dein altes Leben ist nicht mehr. Du hast jetzt die 9 Leben eines Anführers empfangen und der SternenClan gewährt dir und dem RauchClan sein Geleit. Behüte deinen Clan, ehre die Traditionen und lebe jedes Leben voller Stolz und Würde." Etwas leiser fügt sie noch hinzu: „Ich danke dir für deine Treue. Du magst Zweifel haben, doch ich weiß, dass du diesen Clan führen kannst."
Ein letztes Mal nicke ich meiner Anführerin zu – diesmal nicht mit dem üblichen gezwungenen, knappen Nicken, sondern richtig. Ich neige meinen Kopf vor ihr, wie sie es all die Jahre verdient gehabt hat. „Ich danke dir, Kupferstern."

Nachdem nun alle Stimmen verklungen waren, stimmt der SternenClan in die Rufe „Hagelstern, Hagelstern, Hagelstern!" ein.
Nun wendet sich auch Kupferstern zum gehen, wirft mir aber noch einen stolzen Blick zu. Als sie die Menge der SternenClan Katzen erreicht hat, verflüssigen sich ihre Formen und Konturen, steigen hoch hinauf und sind schließlich verschwunden.
Von Efeustern

 

Januar 2016
Thema: Jagd im Schnee

-Es wurden keine Einsendungen eingereicht, daher gibt es für diesen Wettbewerb keinen Gewinner!




2014/2015

November 2015

Thema: Gefährten

Vorsichtig schob er die Schnauze aus dem Kriegerbau. Er sah sich um, hoffte inständig, dass ihn niemand sah. Leise schlich er durchs Lager, direkt auf den Schmutzplatz zu, die Ohren gespitzt und bereit sich bei jedem Geräusch zu verstecken.
Er konnte einfach nicht schlafen. Der Tag war anstrengend gewesen, wie jeder andere auch. Doch aus irgendeinem Grund fand er heute keine Ruhe... er brauchte die frische Luft und die Stille um nachzudenken.
Glücklicherweise hatte ihn niemand gesehen. Sturmwind, der am Lagerausgang Wache hielt, hatte ihn nicht bemerkt. Jetzt konnte er sich durch den Tunnel im Schmutzplatz davon stehlen.
Die kühle Nachtluft wehte ihm um die Nase, als er zu den Rabenfelsen lief. Er benutzte die ihm schon lange vertrauten Wege, orientierte sich mehr am Geruch, da die Nacht den Wald verändert.
Er wurde langsamer als die Felsen in Sicht kamen. Wie ein riesiger Koloss ragten sie aus dem Boden, am äußersten Rande des Waldes.
Mit kräftigen, geschmeidigen Sätzen kletterte er hinauf, direkt auf die höchste Spitze zu. Von hier oben konnte er das halbe SchlangenClan Territorium überblicken, welches sich unterhalb der Felsen erstreckte. Der Mond schien hell auf das weitläufige Grasland, aber die Steine waren im Schatten der Bäume. Er konnte also nicht gesehen werden.
Oben angekommen ließ er sich nieder, legte seinen Kopf auf die Pfoten.
Eine ganze Weile lag er einfach so da, ohne an irgendwas zu denken. Dann dachte er an das, was ihm den Schlaf raubte. Heute war der Kampf mit den Katzen des SchlangenClans gewesen, die wieder einmal in das Territorium des BlitzClans eingedrungen waren. Aber es war nicht unbedingt der Kampf, der ihn so sehr beschäftigte, eher die Erinnerung an diese blitzenden, grünen Augen, die ihn gelähmt hatten, die ihn kampfunfähig gemacht hatten.
Er stieß einen Seufzer aus. Diese wunderschönen Augen gehörten Honigfrost, einer wunderschönen, beigen Kätzin... aus dem SchlangenClan. Sie war so unendlich weit entfernt... obwohl nur eine dünne Spur aus Duftmarken sie trennte.
Er ließ seinen Blick über die Graslande des SchlangenClans wandern und dachte grade darüber nach, wie ausweglos seine Situation war, als er eine Bewegung wahrnahm. Sofort richtete er sich auf und suchte angestrengt danach. Er hatte sich doch nicht geirrt? Nein! Da sah er sie. Die Katze des SchlangenClans und sie steuerte geradewegs auf das BlitzClan-Territorium zu.
Das durfte er nicht durchgehen lassen!
Sein feuerroter Pelz stellte sich auf, er sprang die Felsen mit mächtigen Sätzen hinab, hockte sich unter einen Busch, ganz in der Nähe der Grenze. Nur mit Mühe konnte er ein Knurren unterdrücken.
Die fremde Katze kam unaufhörlich näher. Als sie an der Grenze ankam zögerte sie einen Moment, bevor sie dann entschlossen ihre Pfote über die Grenze setzte. Das war genug!
Angriffslustig sprang er hinter dem Busch hervor und bleckte die Zähne, als er ihr gegenüber stand. „Was willst du hier?", knurrte er.
Die fremde Katze starrte ihn erschrocken an und es verschlug ihm den Atem. Er sah in die blitzenden, im Licht der Sterne funkelnden, grünen Augen von Honigfrost. All sein Ärger war vergessen.
Honigfrost miaute vorsichtig. „E-Entschuldigung." Heiliger SternenClan, wie konnte eine Katze nur eine so schöne Stimme besitzen? „I-Ich w-wollte nicht..."
Er schluckte, dann unterbrach er sie. „Ist nicht so schlimm, ich... ich hatte ja keine Ahnung, dass du das bist.", fügte er leiser hinzu.
Honigfrosts Augen blitzten überrascht auf, dann sah er die Erkenntnis in ihren Augen. „Du bist der Kater von heute Morgen oder? Der..." Er sah wie sie schluckte. „BlitzClan-Krieger..." sie zitterte leicht.
Er nickte. „Ja... ich bin Fuchskralle. Aber, wenn du mir die Frage gestattest... was machst du hier?"
Sie ließ leicht den Kopf hängen und gab leise stammelnd zu: „Ich... ich... ich habe nach dir gesucht." Sie richtete ihre funkelnden grünen Augen auf ihn. Er spürte, wie sein Herz einen Satz machte. „Ich... wollte dich wieder sehen. Unter anderen Umständen als... vorhin." Er war unfähig etwas zu sagen. Diese...wunderschöne Kätzin... war nur gekommen um ihn zu sehen? Er konnte es kaum glauben.
Er spürte wie sein zögern sie unsicher machte. Vorsichtig sah sie ihn an, „Sag doch was.", miaute sie bittend.
Er hatte einen Kloß im Hals, musste schlucken um etwas über seine Lippen zu bringen. „Ich.. bin froh dich zu sehen." Seine Stimme klang für ihn wie das Krächzen einer Krähe, ganz das Gegenteil von Honigfrosts bezaubernder Stimme. Doch aus ihrer Kehle entsprang das schönste Schnurren, das er jemals vernommen hatte. Er machte einen zögernden Schritt auf sie zu. „Ich würde dich gern öfter sehen. Jeden Tag, wenn nur irgendwie möglich...", gab er leise zu. Sie sah in aus teils freudigen, teils traurigen Augen an. „Das ist auch mein Wunsch ... Fuchskralle..." Sie hauchte seinen Namen, nahe an sein Ohr und ein Kribbeln lief durch seinen ganzen Körper. „Aber du weißt, dass wir vorsichtig sein müssen..." Er schluckte. Ja, das wusste er nur zu genau. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn das jemand bemerken würde. Er kam ihr ganz nahe, spürte das Zittern ihrer Muskeln unter ihrem Fell, schmiegte sich ganz leicht an sie. „Wir bekommen das hin... niemand wird uns sehen.", flüsterte er ihr ins Ohr, „Wir müssen nur aufpassen, dass keiner mitbekommt, wie wir uns davonstehlen." Er holte tief Luft, genoss es, ihren Duft wahrzunehmen.
Sie schmiegte sich eng an ihn, drückte ihre Nase in sein Fell.
Eine ganze Weile genossen sie es nur, eng aneinandergeschmiegt da zu stehen und den Mond und die Sterne ihre Bahnen ziehen zu lassen. Dann erhob Honigfrost leise ihre Stimme. „wir müssen wieder zurück..." Diese Worte schmerzten ihm, doch er wusste, dass sie die Wahrheit sprach. Er leckte ihr kurz liebevoll übers Ohr, sie schnurrte leise, ihre wunderschönen, grünen Augen sahen direkt in die seinen. „Dann sehen wir uns zu Mondhoch? Hier?" Sie nickte leicht auf seine Frage. Nun musste auch er leise Schnurren.
Der Abschied fiel ihm schwer. Er wollte sie nicht gehen lassen, aber er wusste, dass er das musste. Als sie gehen wollte, berührte er noch einmal kurz seine Nase mit der ihren, dann ließ er sie ziehen.
Er sah ihr noch eine Weile nach, dann trabte er beschwingten Schrittes in Richtung lager. Alle sorgen waren vergessen, solange er an Honigfrosts wunderschöne Augen denken konnte...

Von Nachtschatten

 

September/Oktober 2015

Thema: Schülertraining

Hoch am Himmel stand der Mond. Er leuchtete mit all seiner Kraft, um das Lager unter ihm in helles Licht zu tauchen. So wie das Lager dalag, mit den funkelnden Felswänden und den wenigen Katzen, die auf der Lichtung standen mit ihren strahlenden Pelzen, konnte man glauben man war in den Jagdgründen des SternenClans. Diese Ruhe, die von den Katzen ausging, war aber begleitet von einem Knistern. Einer Bedrohung, einer Angst. Denn die Pelze waren leicht gesträubt, in den Augen lag Panik. Die meisten Katzen waren nicht hier. Sie waren im Kampf. Der laue Wind trug ihre Schreie bis ins Lager.
Kurz nachdem die Katzen sich auf den Weg gemacht hatten um der überfallenen Patrouille zur Hilfe zu eilen, kam eine zurück. Auf drei Beinen humpelnd und das Fell verklebt mit Blut. In diesem Augenblick begann Streifenpfotes härteste Trainingseinheit. Denn Streifenpfote war Heilerschülerin und Blattbein war ihr erster Patient. Doch dass es so hart werden würde, hätte Streifenpfote nie gedacht. Sie hatte immer geglaubt, ihr Wissen in aller Ruhe einsetzen zu können, wie ihr Mentor Rotpelz. Doch dem war nicht so. Denn ihre Pfoten waren gebändigt von Panik. Zitternd stand sie vor der Kräuternische und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch das wollte nicht klappen. Sie hörte nur, wie Rotpelz ruhig auf Blattbein einredete, der mit stoßweisen Atemzügen antwortete.
„Streifenpfote, er blutet", versuchte ihr Mentor ihr zu helfen.
Blut... Was hilft gegen Blut?
Panisch starrte die junge Katze auf die Kräuter, bis ihr das klebrige Zeug ganz vorne auffiel. Spinnweben!
Streifenpfote langte mit ihrer Pfote in die Nische und fischte sich die Spinnweben heraus. Mit ihnen kam sie zu Blattbein getappt und reichte Rotpelz die Spinnweben, doch der schüttelte nur den Kopf.
„Du bist alt genug"
Was?! Das Fell der Tigerkatze sträubte sich. Wie konnte er ihr nur diese Verantwortung übertragen?! Was, wenn der Kater ihretwegen sterben würde? Doch ihre Gedanken halfen nicht. Sie drückte die Spinnweben auf die klaffende Wunde an Blattbeins Hinterlauf. Doch das Blut sickerte sofort durch. Streifenpfote hörte, wie Rotpelz zur Kräuternische ging und kurz darauf drückte er ihr mehr Spinnweben in die Pfoten. Sie presste sie über die bereits blutgetränkten und hoffte, kein weiteres Blut zu spüren. Blattbein stöhnte auf, doch die Heilerschülerin merkte, dass wieder warmes Blut durchsickerte. Zitternd atmete sie ein.
„Press deine Pfoten ruhig weiter drauf" Streifenpfote nickte und sie merkte, wie ihr eigenes Blut durch ihren Kopf rauschte. Sie nahm die Stimme ihres Mentors nur noch gedämpft wahr, als er sie erinnerte, dass ihr Patient einen Schock bekam. Wieder rasten die Gedanken.
Schock. Schock was hilft bei Schock?
Streifenpfote versuchte, sich ein Bild über das bereits Gelernte zu machen, doch sie sah nichts außer Fell und Blut. Die Panik wurde größer.
Plötzlich drang ein beißender Geruch in ihre Nase. Thymian!
Rotpelz zerkaute gerade das Kraut und tupfte es dann auf Blattbeins Lippen. Instinktiv leckte der den Brei ab und Rotpelz fuhr mit der Prozedur fort. Streifenpfote nahm ihre Pfoten von der Verletzung und stellte beruhigt fest, dass nun kein Blut mehr durch die Spinnweben drang. Sie merkte, wie ihr Kopf wieder etwas klarer wurde, und konnte wieder denken. So eilte sie zur Kräuternische und holte einen Mohnsamen. „Kann ich ihm den dann geben, wenn der Schock nachgelassen hat?"
Abwesend nickte der Heiler, vertieft in seine eigene Arbeit. Streifenpfote legte den Mohnsamen neben Blattbein und atmete tief durch und beruhigte sich wieder. Dann drehte der alte Heiler sich zu ihr. Seine Bernsteinaugen funkelten ruhig.
Diese Ruhe machte Streifenpfote wütend. Wie konnte er ihr nur diese Verantwortung übertragen? Wie auf ein Wort antwortete der Kater: „Du bist alt genug Streifenpfote. Dein Wissen ist schon so groß, du musst nur lernen es anzuwenden. Und ohne Übung wirst du es nie lernen"
Streifenpfote sträubte sich der Pelz noch mehr als er ohnehin schon war. War Blattbeins Leben nur Übung für sie?! Sie wollte Rotpelz die Worte gerade an den Kopf werfen, als eine andere Katze ihren Kopf in den Bau steckte.
„Wie geht es ihm?", fragte eine besorgte Stimme. Als Streifenpfote sich umdrehte, begegnete sie den Blick der Älteste Amselherz. Sorge funkelte in ihren dunklen Augen. Die Heilerschülerin legte ein Ohr an den Brustkorb des Kriegers. Seine Atmung war nun nicht mehr stoßweise, sondern gleichmäßig und tief.
„Der Schock hat nachgelassen und die Wunde blutet nicht mehr. Er muss sich nur ausruhen, dann wird er wieder gesund", sagte sie. Die Älteste nickte etwas beruhigter und zog den schwarzen Kopf wieder aus dem Bau.
Streifenpfote nahm den Mohnsamen und legte ihn an Blattbeins Lippen, der schon halb im Schlaf versunken war. Er leckte den Samen auf und schluckte ihn. Als sie dem Krieger beim Einschlafen zusah, überkam sie plötzlich selbst eine unglaubliche Müdigkeit. Sie ging das Geschehende in ihrem Kopf noch einmal durchlaufen um aus dem zu lernen. Sie merkte, wie der alte Heiler beruhigend über ihr Ohr leckte.
„Das hast du gut gemacht. Das Leben ist eben das beste Training"
Die Schülerin war nun garnichtmehr wütend auf ihn, denn sie musste ihm Recht geben. All ihr Wissen nutzte ihr nichts, wenn sie es nicht im Ernstfall einsetzen konnte. Sie hatte so oft zugehsehen, wie der rot-braune Kater Katzen das Leben gerettet hatte und wusste eigentlich genau, was zu tun war. Und dies war das erste Leben, das sie gerettet hatte. Stolz glomm in ihrer Brust auf und sie schnurrte zufrieden. So oft ihr Mentor sie auch auf die Palme brachte, im Endeffekte hatte er immer Recht behalten.

Von Seeblick

 

August/September 2015

Thema: Zeremonie

Versprechen

Es war Sonnenaufgang. Die helle rot-orangene Scheibe färbte den Himmel bunt. Verzierte ihn mit einzelnen Strichen und Farben zu einem einzigartigen, so nicht wiederkehrenden Anblick. Wie er den Sonnenaufgang hasste. Diese Hoffnung, die er mit sich brachte. Auf einen neuen Tag. Eine neue Chance. Um alles anders zu machen. Um alles vergangene hinter sich zu lassen. Um neu zu beginnen. Allein bei dem Gedanken kräuselte er schon spöttisch die Lippen. Als ob es so einfach wäre. Als ob man einfach vergessen könnte. Vergessen könnte, was geschehen war.

Er nahm die Katzen um sich herum nur zu gut wahr, obwohl er versuchte sie einfach zu ignorieren. Es war ihm schon beinahe zuwider, dass sie so dicht neben ihm waren. Um ihn herum. Überall. Sie hatten einfach zugelassen, dass sie stirbt! Hatten nichts getan. Nur weil ihr Anführer sie zurückgerufen hat, es für sinnlos und zu gefährlich hielt. Nicht einer hatte sich ihm widersetzt. Das Wort eines Anführers ist Gesetz, schoss ihm durch den Kopf. Er kannte das Gesetz, obwohl er noch kein Schüler war. Aber es rechtfertigte in seinen Augen nicht ein Junges einer Dachsfamilie zu überlassen. Für ihn waren die anderen Katzen alle Mörder. Aber er war der schlimmste.

Eine klare Stimme durchdrang seine Gedanken. Sein Anführer, der vom Hochstein zu dem Clan sprach: „Wir alle betrauern den Verlust von Rabenjunges, die vor zwei Sonnenaufgängen in den SternenClan einging. " Dass er es auch nur wagte ihren Namen in den Mund zu nehmen! Den Namen seiner geliebten Schwester. „Dennoch geht das Leben weiter. Hageljunges, tritt vor!" Automatisch setzte er eine Pfote vor die andere, stellte sich vor dem Hochstein auf und starrte den Anführer mit unverhohlenem Hass an. Hass auf ihn. Hass auf sich selbst. Hass auf sie alle. Sie sollte mit mir hier stehen, dachte er, oder wenigstens an meiner statt hier sein. Denn es war alles seine Schuld. Wäre er nicht so unvernünftig gewesen! Es war eine dumme Idee das Territorium allein erkunden zu wollen. Er war der Ältere. Er hätte es besser wissen müssen. Jetzt war sie tot. Und es war seine Schuld. Die grausamen Bilder schoben sich in sein Kopf.
Wie die Dachse sie umzingelten. Wie er fortlief, um Hilfe zu holen. Wie er die Patrouille fand, sie zu den Dachsen führte, die seine Schwester schon schwer verletzt hatten. Der harte Blick des Anführers, als er sagte, dass sie nicht zu retten war. Die schweren Pfoten zweier Krieger, die ihn festhielten, als er seine Schwester sel

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